Ausgezeichnete „Herkunftsgeschichten“
Das Projekt „Herkunftsgeschichten“ der Jugendkunstschule im Kreativhaus konnte im Dezember einen tollen Erfolg feiern: Vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat es eine Auszeichnung erhalten, den Projektpreis „Kinder- und Jugendkulturland NRW 2015″. Was echt super ist, denn der Preis ist mit 7.500 Euro verbunden. In 2016 geht es deshalb auf jeden Fall weiter mit den „Herkunftsgeschichten“.
In 2014 und 2015 haben insgesamt schon über 40 Kinder und Jugendliche aus 12 Nationen bei den „Herkunftsgeschichten“ mitgemacht. Sinn des Projekts ist, dass junge Flüchtlinge, die erst vor kurzem nach Münster gekommen sind, und Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, sich begegnen. Wer bist du? Woher kommst du? Sich über Heimat und Herkunft zu verständigen ist gar nicht so einfach, wenn man unterschiedliche Sprachen spricht.
Angeleitet von einer Tänzerin, einer Schauspielerin und einem Drehbuch- und Theaterautor erkunden die Teilnehmer/innen der Workshops dabei neue Wege. Über Bewegung oder Musik, über Gerüche, Tanz oder Spiel entwickeln sie Geschichten, die auch schon vor Publikum präsentiert worden sind. Im Folgenden findet ihr einige Kostproben:
Heimatgerüche
Was ist Heimat? Woher kommt mein Heimatgefühl? Wohin trägt es mich? Die Texte sind über Gerüche entstanden, über Erinnerungen und Erzählungen.
Geruch Nr. 15
– Ich verbinde viel mit diesem Geruch. Er ist der Erste, den ich gerochen habe. Pfeffer, glaube ich. Wir essen manchmal Kartoffeln, Fleisch und eine Soße mit viel Pfeffer. Es erinnert mich irgendwie an Winter, wenn meine Mutter, mein Vater und ich abends im Wohnzimmer essen. Oder auch im Sommer. Wenn ich einen Geruch sagen sollte, den ich mit zu Hause verbinde, würde ich nie „den Geruch nach Pfeffer“ sagen. Doch irgendwie hat ja jedes Haus, sogar jedes Zimmer seinen eigenen Geruch, der sich aus Vielem zusammensetzt.
(Felix Konerding)
Geruch Nr. 17 – Zimt ist geil, Zimt und Zucker.
Magnifique
verführerisch
verfeinern
Geruch
nicht zu viel
Auf Dauer stechend
Passt auf eure Nasen auf.
Genuss
Leidenschaft
parfait
Gewürze
Kuchen backen
Zusammen mit Vanille
tres bien
# nice
(Artur Herfort)
Geruch Nr. 4
Zuckerwatte. Pink und Kirmes.
Alles grell und bunte Lichter. Ich fahre schnell in einem oder ich gehe Hand in Hand mit meinem… mit einem Freund. Ich bin 14. Jahre vielleicht bin ich zwölf. Ich darf verdammt lang aufbleiben. Danke Mama. Viele sind betrunken, es ist laut, das ist mir unangenehm. Aber da am Autoscooter steht dieser Typ. Ich kann nicht gehen. Wir finden uns schön.
(Sarah Kramer)
Geruch Nr. 1
Es ist Bier. Es erinnert mich an meinen Nachname. Zuhause steht ein Kasten voll damit. Es ist alkoholhaltig. Man kann es trinken. Auf dem Oktoberfest werden tausende Liter getrunken. Auch auf Partys.
(Alexander Bier)
Geruch Nr. 12
Ich habe den Geruch gefunden. Ich finde es gut. Ich benutze das wenn ich krank bin zum Beispiel bei Halsschmerzen, es gut bei Schmerzen überhaupt, die Leute in Eritrea benutzen es oft, es macht gesund.
(Diana Yemane)
Geruch Nr. 6
Wir liegen auf dem Bauch im Gras, die Nasen fest in die Erde vergraben. Der Geruch des Sommers. Über uns der blaue Himmel, unter uns die warme Erde, der Atem bewegt den Klee. Ein Käfer klettert auf deine Wange. Alles löst sich auf.
(Monika Maikhail)
GROSSTISCH
von Buket Kaia
Jeder Türke kennt diese Situation. Man hat eine stundenlange Reise hinter sich und die Füße berühren endlich den Boden. Man atmet tief die Luft ein. Wie sich die Luft anfühlt? Sie ist warm und du spürst eine leichte Meeresbrise. Aber das Entscheidende: Sie riecht nach Zuhause. Meine Heimat, die Türkei.
Man nimmt niemals ein Taxi! Das ist unhöflich. Schließlich hat man eine riesige Familie mit vielen Verwandten und Bekannten. Manche zählen sogar die Nachbarn dazu. Deine Großfamilie erwartet dich. Einige Zuhause, die anderen am Flughafen. Während der Fahrt lacht man miteinander und tauscht sich aus. Man fragt sich, wie man überhaupt solange von ihnen getrennt leben konnte. Dann die Stadt: Ist sie nicht unglaublich? Ich muss lächeln, denn ich kann fast nur Autos der deutschen Marke Volkswagen sehen. Ich schaue hoch und sehe die unterschiedlichsten Bauwerke. Die prachtvollsten sind die Moscheen, denn was wäre die Türkei ohne den Islam? Du siehst den Muezzin auf dem Minarett. Es ist Zeit für das Gebet.
„Allahu Akbar, Allahu Akbar…“ Mir kommen die Tränen. In Deutschland kann man diesen wunderschönen Gesang nicht immer hören. Die Autofahrt nähert sich dem Ende. Das Auto hält und ich steige aus. Ich sehe mein Zuhause und boom, Erinnerungen lassen mein Herz schneller schlagen. Das erste was ich nach der herzlichen Begrüßung wahrnehmen kann, ist dieser göttliche Duft. Der Duft der türkischen Küche. Was kann einen Menschen glücklicher als leckeres Essen machen? Wenn man in der Türkei zu Besuch ist, gilt die Regel: Wer nicht isst, der darf nicht gehen.
Im Dorf decken wir den Tisch anders als wie wir es in Deutschland kennen. Es gibt einen runden tiefen Tisch, ca. einen halben Meter hoch. Ich sitze mit meiner Großfamilie auf dem Boden und wir betrachten die ganzen vielen Gerichte. Ich esse, was das Zeug hält. Als gäbe es kein Morgen. Die meisten reden und reden und lachen vor Freude. Wenn mich jemand fragen würde, was Heimatliebe ist, würde ich genau diesen Moment beschreiben. Was stärkt einen mehr als zu wissen, dass die Familie immer zusammenhält und hinter einem steht?
Irgendwann habe ich zu viel gegessen und möchte aufstehen. Aber Stopp! Ich darf natürlich nicht aufhören. Meine Oma ist nicht zufrieden: „Du hast ja noch nicht von allem probiert! Iss mehr.“ Es gibt nur eine Lösung für dieses Problem: Iss, bis du dein Limit überschritten hast.
Erschöpft vom ganzen Essen brauche ich unbedingt eine Pause und schlafe im Sitzen ein. Glücklich und satt sein machen mich nun mal müde. Apropos schlafen… Ist meine Heimat nicht wie ein schöner Traum?
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